
Personalnot im Hospiz
„Wir sind in einer sehr brenzligen Situation angekommen, was den Fachkräftemangel in der Pflege angeht“, sagt Sven Haustein, Geschäftsführer der St. Vinzenz Soziale Werke gGmbH, der zur Ehrung der langjährigen Mitarbeiterin aus Fulda angereist ist. Die Sozialen Werke sind Träger des Hanauer Hospizes. Das Thema „begleitet uns seit Jahrzehnten“, aber nun sei ein Punkt erreicht, an dem Stellen nicht mehr besetzt werden können. Im Rhein-Main-Gebiet und in Hanau sei die Situation noch mal schlimmer als in anderen Einrichtungen der Sozialen Werke. Insgesamt 13 sind es, darunter Pflegeheime und Kindertagesstätten.
Im Hospiz in Hanau sind rechnerisch 2,35 Vollzeitstellen nicht besetzt. Zwölf Pflegefachkräfte sind derzeit dort angestellt, darunter sind allerdings drei Langzeitkranke. Durch das Drei-Schicht-System (Früh-, Spät- und Nachtdienst) sind täglich sechs Dienste zu besetzen. Fällt jemand kurzfristig aus, springt auch mal die Einrichtungsleiterin ein.
Die Personalnot hatte im Hospiz zuletzt dazu geführt, dass ein Bett frei bleiben musste, nur sieben Gäste betreut werden konnten. Nach Rücksprache mit dem Team ist dann in dieser Woche das achte Bett wieder belegt worden. „Es ging nicht anders“, sagt Jeannette Marquardt, die sogar vorab die betroffene Familie besucht hat, obwohl das eigentlich nicht zu ihrem Arbeitsauftrag gehört. Zu Hause sei die Betreuung nicht mehr möglich, die Not groß gewesen, erzählt sie. Der junge Familienvater zog also ins Hospiz ein – in solchen Fällen gibt es Gästewohnungen für Kinder und Partner.
Wenn relativ junge Gäste ins Hospiz kommen, sei das für das Team besonders schwer. Es sei immer eine Abwägung: Die Mitarbeiter nicht zu überfordern und „den Menschen gerecht zu werden, die uns brauchen“, betont Jeannette Marquardt. Das achte Bett wieder zu belegen, „war die richtige Entscheidung“, betont sie – trotz der zeitlichen Herausforderung für das Team.
Jemand, der auch in schwierigen Zeiten wie der Corona-Pandemie zum Unternehmen gehalten hat, ist Eden Dessie. Jeannette Marquardt bedankte sich bei der langjährigen Mitarbeiterin, dass sie jeden Tag mit ihrer „positiven Einstellung“ ins Hospiz komme.
Bevor Dessie 2003 anfing, dort zu arbeiten, war sie fünf Jahre am St.-Vinzenz-Krankenhaus beschäftigt, absolvierte dort ihre Ausbildung zur Krankenpflegehelferin. Eden Dessie erinnert sich, dass die Anfangszeit im Hospiz für sie als damals noch sehr junge Mitarbeiterin schwer gewesen sei. Die Ordensschwestern der Vinzentinerinnen seien eine wichtige seelische Stütze gewesen.
Froh war sie auch, dass ihre Situation als alleinerziehende Mutter bei der Dienstplanung berücksichtigt wurde. Am Anfang absolvierte sie nur Frühdienste, konnte selten am Wochenende arbeiten. Als ihre Tochter älter wurde, kamen Spätdienste und schließlich auch Nachtdienste dazu.
Während der Pandemie sind viele Pflegekräfte abgewandert – Eden Dessie ist geblieben. Auch in der schwierigsten Zeit, als Gäste und Mitarbeiter gleichzeitig an Corona erkrankt waren, Dienste kaum noch besetzt werden konnten.
Die Sozialen Werke zahlen nach Angaben des Geschäftsführers schon immer Tarifgehälter. Seit September 2022 sind dazu alle Pflegeeinrichtungen und entsprechenden Träger verpflichtet. Seitdem sei es noch mal schwieriger geworden, Stellen neu zu besetzen, so Haustein. Teils kommt auf Anzeigen keine einzige Rückmeldung. Um dem Fachkräftemangel in der Pflege zu begegnen, setzt er auch auf die Hilfe der Politik – um bürokratische Hürden für ausländische Fachkräfte oder Menschen aus Flüchtlingsregionen abzubauen. Im Hanauer Hospiz ist aktuell eine Leiharbeitskraft im Einsatz, um das Team zu entlasten.
Lichtblicke am Horizont gibt es. Wenn alles klappt, fängt zum 1. Juli eine neue Pflegefachkraft an, berichtet Einrichtungsleiterin Marquardt. Und es gibt zwei Interessenten, die im Herbst Examen machen und dann dort anfangen möchten.
Fotobeschreibung: Seit 20 Jahren und damit fast seit dem Eröffnungstag arbeitet Eden Dessie im Hanauer Hospiz. Eine so lange Zeit beim selben Arbeitgeber ist angesichts des Fachkräftemangels in der Pflegebranche selten geworden
Quelle: Hanauer Anzeiger vom 10.06.2023 (Seite 9)
Foto: Patrick Scheiber