
Wenn Zeitung zum Helfer wird
„Ohne das Engagement des HA“, sagt Elena Möller-Botzum, „würde es das Frauenhaus Hanau nicht mehr geben.“ Wir treffen die Mitarbeiterin der Einrichtung an einem Donnerstagmorgen. Im Büro ist zu dieser frühen Stunde noch niemand. Auch im Haus ist es ruhig. Dabei sind alle Zimmer belegt, sogar das Notbett und die Schutzwohnung einige Straßen entfernt. In Summe belegen aktuell elf Frauen mit 13 Kindern die insgesamt 24 Plätze. Die Belegungsquote lag 2024 bei 91 Prozent. „Wenn wir am Morgen frei melden, ist der Platz innerhalb des Vormittags wieder besetzt“, berichtet Möller-Botzum. Die Frauen kommen aus ganz Deutschland – von Hamburg bis München, eine Nähe zum Wohnort Hanau wird, wenn das geht, vermieden.
"Wir haben eine große Wertschätzung und Achtung vor der Arbeit der Redaktion."
Elena Möller-Botzum, Mitarbeiterin des Frauenhauses Hanau, über das Wirken des Hanauer Anzeiger seit 2003.
Rückblende, 2003: Kurz nachdem das Frauenhaus Hanau von der ersatzlosen Streichung der Landesmittel in Höhe von 90 000 Euro erfahren hatte, rief die damalige Mitarbeiterin Margit Denné bei der Werbeagentur „Teamwerbung“ an. Der Kontakt zum Hanauer Anzeiger war schnell geknüpft. Der damalige Verleger und heutige Herausgeber Thomas Bauer erklärte sich sofort bereit, der Zeitung Informationsflyer zur Spendenaktion beizulegen und Anzeigen zu schalten. Anschließend kontaktierte Agenturleiter Horst Fehnl die freie Texterin und Konzeptionerin Ulrike Streck-Plath aus Maintal-Dörnigheim. Am 17. November schrieb Streck-Plath unter anderem zwei Zeilen, die noch heute für die Kommunikation des Frauenhauses Hanau stehen: „Mami, warum haut er dich?“ und „Wir brauchen kein Mitleid, sondern Mittel.“
Zwei Schirmherren für die Aktionen waren ebenfalls schnell mit im Boot. Neben dem damaligen Sozialdezernenten des Main-Kinzig-Kreises, Erich Pipa, konnte der Hanauer Oberbürgermeister Claus Kaminsky gewonnen werden. Quasi über Nacht entstanden die Beilage für den Hanauer Anzeiger und Plakate für den Aushang in Hanauer Geschäften. Auf dem Weihnachtsmarkt 2003 fand die erste Spendensammlung statt.
Heute ist die Aktion Geschichte und das Frauenhaus mit vielen kleinen und großen Spenden, auch der Leserinnen und Leser des HA, gerettet. Seit 2015 findet auch wieder eine Finanzierung durch das Land Hessen statt. Möller-Botzum, die seit 2016 zum Team der Mitarbeiterinnen gehört, nennt den HA im Gespräch „einen zuverlässigen Partner“. „Wenn wir 2003 hätten schließen müssen… Es wär schrecklich gewesen für all die Frauen, die hier Zuflucht gefunden haben.“
Von der Aktion profitiere die Einrichtung auch nach 20 Jahren noch, sagt die Hanauerin. Sie hat die Institution in die Öffentlichkeit und das Thema Gewalt an Frauen aus der Tabuzone herausgebracht. In den darauffolgenden Jahren gab es immer wieder gemeinsame Aktivitäten: den Wunschbaum von HA und Galeria Kaufhof, der an Weihnachten auch die Kinder im Frauenhaus bedachte, einen Plakatwettbewerb, der das Thema an Schulen trug, und zuletzt die Spende der Redaktion, die ihr Preisgeld von 1200 Euro aus dem Gewinn des Couragepreises 2023 (der Verlag stockte es auf 1500 Euro auf) an das Frauenhaus überreichte. Und mit jeder Berichterstattung aus und über die Einrichtung stieg die Spendenbereitschaft weiter.
Das beobachtet auch Jeannette Marquardt. Seit vier Jahren leitet sie das Hospiz „Louise de Marillac“ in Hanau. Der Hanauer Anzeiger hat hier eine ganz besondere Rolle. Jeden Morgen liegt er auf dem Tresen. Die acht schwerstkranken Gäste, die im Hospiz ihre letzten Tage oder Wochen verleben, holen ihn sich dort ab. „Der zieht hier mit ein“, sagt die Einrichtungsleiterin, „ein Stück Heimat eben“. Dass über die tägliche Lektüre der Tageszeitung Gespräche zustande kommen, freut sie sehr. Dass Berührungsängste abgebaut werden, die Menschen in einen Austausch miteinander kommen, noch mehr.
Ähnlich wie beim Frauenhaus übernimmt der HA auch hier die Rolle des Aufklärers: Was ist ein Hospiz? Was passiert hier? Fragen, die in Artikeln immer wieder thematisiert werden. Ein Bericht porträtierte beispielsweise einen Mann, der seit 20 Jahren Woche um Woche 20 Euro als Spende abgibt. Das sorgt für Nachahmung. „Wenn wir im HA waren, merken wir deutlich, dass die Spenden ansteigen“, berichtet Jeanette Marquardt. Mal 10 Euro, mal 20 Euro – jeder Betrag hilft der Einrichtung.
Nach einem Bericht im vergangenen Jahr, in dem händeringend Ehrenamtliche gesucht wurden, meldeten sich 20 Männer und Frauen. Sieben sind bis heute dabei geblieben, gehören mittlerweile fest zum Team, das Jahr für Jahr um die 100 Gäste begleitet. Sie sitzen an Betten, hören zu, halten Hände, kaufen ein, machen das Abendessen oder backen sonntags Kuchen. „Dann duftet es hier und alle freuen sich“, erzählt die Leiterin. Auch Ankündigungen für Konzerte oder Lesungen führen zu Öffentlichkeit. „Ich hab’s gelesen, deshalb bin ich gekommen.“ Für Jeannette Marquardt steht fest: „Der HA ist für uns schon arg wichtig.“
Quelle: Hanauer Anzeiger vom 15.05.2025, Seite 21
von YVONNE BACKHAUS-ARNOLD